Aus den Augen, aus dem Sinn.
Wo sind die Menschen von Idomeni? Was ist nach der Zwangsräumung des größten Flüchtlingslagers Europas passiert? Wie ist die aktuelle Situation in Griechenland? Ich habe in den letzten Monaten viel Zeit vor Ort verbracht und möchte Euch in der folgenden Fotoreportage von den Menschen berichten, deren Schicksal völlig aus den Medien und damit auch aus dem öffentlichen Interesse verschwunden ist.
Nach der Räumung Idomenis wurden tausende Menschen in Bussen abtransportiert und in über 60 offizielle Regierungslager aufs ganze Land verteilt. Aktuell leben über 60.000 Geflüchtete in diesen Militärlagern, die menschenunwürdiger nicht sein könnten.
Die meisten Lager befinden sich in dreckigen, verlassenen Fabrikhallen auf abgelegenen Industriegebieten oder in Zeltstädten mitten auf dem Land. Offenbar wurde darauf geachtet, dass es im Umkreis von mehreren Kilometern keine Möglichkeit gibt einzukaufen, etwas zu erkunden oder am gesellschaftlichen Leben in Griechenland teilzunehmen.
Die Menschen in den neuen Lagern werden im Grunde wie Tiere aufbewahrt und hingehalten. Sie sind müde und gebrochen. Sie sind zermürbt vom Warten auf die noch Monate wenn nicht gar Jahre andauernden Asyl- und Umverteilungsverfahren der EU.
Es gibt eigentlich nur schlechte Camps oder extrem schlechte Camps. Die folgenden Punkte treffen auf fast alle zu: Die Lebensmittelversorgung ist nicht ausreichend. Es gehen Krankheiten umher. Die sanitären Anlagen sind grenzwertig und die medizinische Versorgung mangelhaft. Hinzu kommen Moskitoplagen, im Sommer unerträgliche Hitze und im bevorstehenden Winter werden viele Menschen hier wieder frieren.
Die grauenvollen Zustände in vielen dieser Lager gelangen nicht an die Außenwelt, denn Medien haben keinen Zugang. Für freiwillige Helfer und Organisationen ist es ein extrem schwieriger Prozess geworden, Hilfe zu leisten. Erst nach wochenlangem Gezerre und einem bürokratischen Albtraum dürfen mittlerweile einzelne, ausgewählte Organisationen innerhalb der Lager helfen, das Leben für die dort ausharrenden Menschen zu verbessern.
Es ist die blanke Ironie, dass sich viele der Geflüchteten Orte wie Idomeni zurückwünschen. Dort hatten sie Freiheiten und es gab die überwältigende Unterstützung durch unzählige freiwillige Helfer. In Idomeni gab es eine Gemeinschaft. Und es gab noch Hoffnung. All das haben die geflüchteten Menschen in Griechenland nun auch noch verloren.

Am Tag der Zwangsräumung Idomenis: Die geflüchteten Menschen werden mit Bussen auf über 60 offizielle Flüchtlingslager der griechischen Regierung im ganzen Land verteilt. Die meisten erfahren erst bei Ihrer Ankunft, wo sie gelandet sind.

Aus den Augen aus dem Sinn: Der Großteil dieser offiziellen Regierungslager befindet sich auf verlassenen Industrieflächen am Rande der griechischen Gesellschaft, wie hier in dem berüchtigten Softex Lager.

“Leben” in Finsternis: Die meisten Militärlager befinden sich in leerstehenden und dreckigen alten Lagerhallen. Menschenwürde Fehlanzeige

Sämtliche Lager werden von Militär bewacht. Presse und freiwillige Helfer haben keinen Zugang und werden weggeschickt.

Unser bekannten Familien, Kinder und Freunde aus Idomeni schicken uns GPS Daten zu den entlegenen Lagern, die man sonst niemals alleine finden würde. Der Zugang zu den Lagern bleibt uns jedoch verwehrt. Es dauert Tage, bis wir einen Überblick haben, wo sich die Lager überall befinden und welche Zustände dort herrschen. Logistik und Informationsbeschaffung wird plötzlich zur größten Herausforderung der Hilfsorgansiationen.

Das Schreckenslager Softex steht schnell fest als Symbol für die Schwierigkeiten des Landes, die rund 60.000 gestrandeten Flüchtlinge angemessen zu versorgen. Untergebracht auf dem Gelände einer ehemaligen Toilettenpapierfabrik, ist Softex eines der größten Lager auf dem Festland: 1380 Menschen leben hier derzeit, die allermeisten aus Syrien.

Ich bekomme viele verzweifelte Anrufe von bekannten Familien aus Idomeni. Eine der mir vertrautesten Familien ist in Softex gelandet. Die Familie zeigt mir und anderen freiwilligen Helfern ein Schlupfloch im Zaun, durch das wir in das Camp gelangen, um uns einen Überblick verschaffen zu können von den schlimmen Zuständen im Lager. Besonders besorgniserregend sind die Berichte vieler dass es vor allem in den ersten Wochen zu wenig Essen und zu Trinken gibt.

Mangelversorgung. Die Cateringfirmen, die über das griechische Militär gebucht werden, rechnen mit einer täglichen Pro-Kopf-Belastung von rund 10€ Euro. Bezahlt wird das mit Fördergeldern der EU, damit wir auch guten Gewissens sagen können, die Krise wäre bewältigt. Was man für die 10€ Euro am Tag bekommt, sieht man an diesem Beispiel. Ein Schelm wer Böses dabei denkt, selbst wenn man das Detail kennt, dass das griechische Militär für jedes ausgelieferte Essen eine Provision von den Catering-Unternehmen bekommt.

Mit dem Aufbau des Softex Lagers wurde erst kurz vor der Zwangsräumung Idomenis begonnen. Die Menschen mussten am Tag der Räumung teilweise 5 Stunden lang im Bus um das Industriegebiet kreisen, weil zu dem Zeitpunkt noch nicht mal alle Zelte standen.

Ein Mädchen bittet mich nach meinem Handy. Bei der Zwangsräumung Idomenis wurde sie von ihrem Freund getrennt. Sie möchten ihn erreichen und erfahren wo er hin verfrachtet wurde.

Eine Familie in Softex berichtet mir, dass es zu Beginn gerade mal 10 Toiletten für 1300 Menschen gab und für lange Zeit keine Duschen. Mittlerweile wurde das nötigste nachgerüstet.

“Wir vermissen Idomeni.” Diesen Satz bekommen wir öfter zu hören. Es ist die blanke Ironie, dass die Menschen sich an diesen schlimmen Ort zurück sehnen. Doch im Gegensatz zu den Militärlagern gab es in Idomeni noch Hoffnung, die Menschen lebten selbstbestimmt und es gab über 400 freiwillige Helfer, die sich tagtäglich darum kümmerten, das Leben dort erträglicher zu machen.

Es gibt eigentlich nur schlechte Camps und extrem schlechte Camps. Softex ist extrem schlecht. Asbest durchsetzte Wände, kaum Licht, und ständige Mangelversorgung machen Softex zu einem der hässlichsten Orte europäischer Flüchtlingspolitik.

Im Herbst der Regen und im Sommer Temperaturen von bis zu 40 Grad machen das Leben im Camp zur Hölle. Die Menschen verharren dann den ganzen Tag in ihren Zelten.

Brandgefährlich. Ein Zelt fängt Feuer. Erst nach Wochen gibt es die ersten Feuerlöscher. Man kann von großem Glück sprechen, dass bisher nichts Schlimmeres passiert ist. Kaum auszudenken, wenn in einer der Lagerhallen Feuer ausbricht.

Die große Langeweile. Die meisten Geflüchteten stecken nun schon seit über 9 Monaten in Griechenland fest. Verdammt zum Nichtstun.

Große Emotionen. In Idomeni waren die Geflüchteten und die vielen freiwilligen Helfer wie eine große Familie. Zusammen hat man eine sehr intensive Zeit verbracht und Erfahrungen geteilt. Nach der Räumung ist es nun sehr schwer geworden all die Menschen wieder zu sehen, die einem in dieser intensiven Zeit ans Herz gewachsen sind. Umso schöner wenn es dann gelingt.

Das Lager in Sindos befindet sich in einer alten Lederfabrik. Mitarbeiter einer NGO berichten, dass der Boden und das Grundwasser ringsherum kontaminiert sind mit Resten von industriellen Chemikalien.

Das Lager liegt mitten in einer Sumpflandschaft und kilometerweit entfernt von der nächsten Siedlung.

Sindos Karamanlis ist noch eines der besseren Lager. Hier durfte sich schon früh eine von der Regierung zugelassene NGO um die Verbesserung der Zustände im Lager kümmern. Fließendes Wasser ist in vielen Lagern für lange Zeit keine Selbstverständlichkeit.

60.000 Flüchtlinge leben zur Zeit in Griechenland unter menschenunwürdigen Bedingungen. In Deutschland liest man derweil schöne Nachrichten über leerstehende Flüchtlingsunterkünfte.

Nach wochenlangem Gezerre mit Behörden, dürfen vereinzelt ausgewählte NGOs helfen, das Leben der Menschen in den Lagern zu verbessern.

Lager der leeren Versprechungen. Bereits zu Idomeni Zeiten wurden die Flüchtlinge gelockt, in die schon errichteten offiziellen Regierungslager umzuziehen. Ihnen wurde gesagt, die Bedingungen dort seien besser als in Idomeni und die Lager winterfest. Beides war nicht der Fall. Leider hat sich daran bis heute nicht viel geändert.

Das gilt besonders für die vielen abgelegenen Zeltlager auf dem Land und in den Bergen. Der Winter steht vor der Tür und die Menschen werden frieren wenn sich in den nächsten Wochen nichts ändert.

Das Camp Frakaport liegt direkt an den großen, stinkenden Klärbecken von Thessaloniki. Zu dem Gestank hinzu kommen die Milliarden von Moskitos, die in den schlammigen Abwasser-Becken eine ideale Brutstätte gefunden haben.

Vergessen und verloren: Am 24.05.2016 wurde Idomeni, das größte Flüchtlingslager Europas geräumt. Mit der Räumung verschwand leider auch jegliches Interesse der Außenwelt an dem Schicksal der gestrandeten Menschen in Griechenland. Das Thema ist seither vollkommen aus den Medien verschwunden.

Warten, warten, warten. Für die meisten der 60.000 Flüchtlinge werden sich die Asylverfahren in Griechenland und die EU Programme zur Umverteilung und Familiennachzug noch über Monate hinziehen, laut Amnesty International sogar Jahre.
Liste aller Camps in Griechenland.
5 Responses to Aus den Augen, aus dem Sinn.
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Hallo, ich bin heute morgen erst über diesen Text gestolpert. Ich gehöre zum Verein “Leverkusen hilft”, der eine Hilfslieferung an Vasilika geschickt hat. Ich würde gerne diesen Bericht auf unserer Seite verlinken. Es wäre schön, wenn sich ein deutsch/englisch-sprachiger Kontakt zum Lager herstellen ließe, damit wir weitere Hilfslieferungen genauer zusammenstellen können. Gleichzeitig wäre ein persönlicher Kontakt auch gut, um weitere Spendengelder zu sammeln.
Es ist traurig, dass wir dieses Leid nicht verhindern oder beseitigen können. Wir können nur versuchen, es etwas zu lindern. Ich hoffe, meinen Teil dazu beitragen zu können…..
Hallo Anneli, vielen Dank für deine Nachricht und eueren tollen Einsatz! Das ist großartig. Ich schicke dir gerne gleich per e-mail ein paar Kontaktdaten, die ich von Vasilika habe. Liebe Grüße
Hallo David, erinnerst Du Dich ! Das 1. Mal trafen wir uns im Parkhotel, Du hattest grad die Lichtaktion im Blick.
Dann bei Ragheds Familie……darüber hatten wir auch messenger Kontakt.
nun versuch ich Dich schon seit einigen Tagen zu erreichen…aber ich habe kein Glück…..
ich würde gern Deine Erlaubnis für Deine hervorragende Reportage über die Camps zur Weitergabe an ’50ausIdomeni'(website) und an die Münsteraner Initiative ‘Münster – Stadt der zuflucht”, die ich mit ins Leben gerufen habe. Wir wollen 368 Refugees nach Münster bringen – auf legalem, sicheren Weg. 368 Jahre ist der Westfälische Friede alt…
herzlichen Gruss
Eva, ab 1.11. wieder in Saloniki und Softex und Vasilika….und….
Hallo Eva, natürlich erinnere ich mich! :) Leider war ich die letzten Wochen 24/7 in Griechenland eingespannt und hatte nur wenig freie Minuten. Aber ich habe dir mittlerweile auf Facebook auf deine Nachricht geantwortet. :) Tolles Projekt was ihr da macht!
Liebe Eva,
Karin und ich versuchen Dich, irgendwie zu erreichen. Melde Dich bitte mal.
Gruß Johannes/Karl